In Pattensen jagt ein Gerücht das nächste

Wenn es um Flüchtlinge geht, verändert sich die Situation in Pattensen manchmal von einem Tag auf den anderen. So geschehen zum Beispiel im November 2015. Da informierte die Stadt an einem Samstag während einer öffentlichen Info-Veranstaltung über die aktuelle Lage. Und am Montag war alles ganz anders. Pattensens Bürgermeisterin Ramona Schumann (SPD) versicherte kürzlich im persönlichen Gespräch, sie habe an diesem Samstag nicht wissen können, dass sich die Situation über Nacht dramatisch verschärfen würde. Wenn das stimmt, hat man sie an besagtem Wochenende möglicherweise bewusst in die Irre geführt und in Kauf genommen, dass ihre Glaubwürdigkeit beschädigt wird. Denn neben Ramona Schumann saßen an jenem Samstagabend auf dem Podium auch die Landtagsabgeordnete Dr. Silke Lesemann (auch SPD) sowie die Bundestagsabgeordneten Dr. Matthias Miersch (auch SPD) und Dr. Maria Flachsbarth (CDU). Letztere ist im Bund stellvertretende Vorsitzende der Landesgruppe Niedersachsen der CDU/CSU-Fraktion. In Niedersachsen ist sie die stellvertretende Landesvorsitzende der CDU. In Pattensen war sie dabei, weil die Stadt zu ihrem Wahlkreis gehört und sie auch bei der nächsten Wahl wieder in den Bundestag gewählt werden möchte. Und über die Vorgänge in ihrem Wahlkreis ist sie nicht informiert? Pattensen gehört auch zum Wahlkreis von Dr. Matthias Miersch. Der ist nicht nur Mitglied des Bundestages, sondern unter anderem auch Vorsitzender im SPD-Unterbezirk Region Hannover. Auf seiner Homepage erweckt er den Eindruck, ganz nah am Geschehen zu sein. Denn dort freut er sich aktuell darüber, dass „gleich vier Kindertagsstätten und Kindergärten aus seinem Wahlkreis durch das am 1. Januar 2016 gestartete Bundesprogramm ‚Sprach-Kitas: Weil Sprache der Schlüssel zur Welt ist‘ gefördert werden“. Auf dieser Webseite findet sich auch der gut klingende Satz: „Verlässlichkeit und Gradlinigkeit sind für mich elementar, damit alle, die in der Gemeinde aktiv sind, planen und handeln können.“ Aber auch er hat über die Flüchtlingssituation in Pattensen nichts gewusst? Dr. Silke Lesemann ist im Landtag Mitglied im Arbeitskreis Integration. Außerdem ist sie Vorstandsvorsitzende der ebenfalls in Integrationsfragen engagierten AWO Region Hannover e.V. Auch sie ist ganz nah dran am Geschehen in Pattensen und freut sich auf ihrer Webseite darüber, dass Pattensen von der Ausweitung der sozialen Wohnraumförderung profitieren kann. Aber auch Dr. Silke Lesemann hat über die Flüchtlingssituation in Pattensen nichts gewusst? Wie dem auch sei: Am Ende bleiben ja nur zwei Möglichkeiten zur Auswahl. Entweder jemand hat es gewusst, dann wurden am Samstagabend die Informationen, die spätestens am Montag der Presse vorlagen, bewusst verschwiegen – sprich: es wurde gelogen. Oder auf dem Podium saßen durch die Bank Personen, die von den nachfolgenden Ereignissen überrascht wurden. Dann aber fragt man sich, wieso man Bürgern in einer Info-Veranstaltung Referenten aufs Podium setzte, die zwar Rang und Namen, dafür aber offensichtlich keine Ahnung von der tatsächlichen Flüchtlingsproblematik in Pattensen hatten. Welche dieser beiden Alternativen die erschreckendere ist, muss jeder für sich selbst entscheiden.

Es ist nicht verwunderlich, dass Gerüchte im Zusammenhang mit Flüchtlingen seit dieser Veranstaltung in Pattensen auf fruchtbaren Boden fallen. Erst wehrten sich die Stadtverantwortlichen gegen die Behauptung, der Baumarkt an der Koldinger Straße würde rausgeschmissen, um Platz für eine Sammelunerkunft zu bekommen. Dann sorgte ein Flugblatt für Unruhe, in dem vom Auffinden von Schlag- und Stichwaffen in einer Flüchtlingsunterkunft die Rede war. Und aktuell sah man sich im Rathaus veranlasst, Mutmaßungen entgegenzutreten, wonach Kita-Plätze für Flüchtlingskinder freigehalten würden. Der Pachtvertrag des Baumarktes läuft nach Angaben der Stadt regulär aus. Der Komplex an der Koldinger Straße sei von einem privaten Investor aufgekauft worden und soll entwickelt werden. Mehrere Szenarien stünden im Raum. Der Baumarkt wird also nicht rausgeschmissen. Und über die weitere Nutzung des Geländes können noch keine verlässlichen Angaben gemacht werden. Vielleicht entsteht dort eine Sammelunterkunft, vielleicht auch nicht. Bezüglich des Flugblattes äußerte sich die Stadt öffentlich gar nicht. Im Gespräch sagte man mir dazu, man wolle die Urheber nicht durch eine Stellungnahme aufwerten. Telefonisch versicherte mir Mirco Nowak, Sprecher der Polizeidirektion Hannover, dass die Angaben zu Waffenfunden nicht der Wahrheit entsprächen. Ich habe auch den Verfasser des Flugblattes angeschrieben. Eine Antwort steht noch aus. Und was die Kita-Plätze angeht: da versichert die Stadt, man werde sich streng an die Vergaberichtlinien halten.

Alle drei Vorgänge haben eines gemeinsam: Die Stadt verurteilt die Urheber der Gerüchte. Und sie übersieht dabei, dass Gerüchte sich vor allem dort besonders gut verbreiten, wo Menschen der Zugang zu Informationen fehlt. Pattensen wäre also gut beraten, in Flüchtlingsfragen transparenter zu agieren sowie schneller und umfassender zu informieren. Die Beantwortung meiner zahlreichen Fragen wäre ein guter Anfang gewesen. Leider gab’s auch im persönlichen Gespräch nur wenig Substanzielles. Immerhin: die Prüfung der Turnhallen scheint abgeschlossen zu sein. Bis zu 200 Personen könnten darin unterkommen. Die Stadt hält an ihrer Absicht fest, vor der Belegung Bürgerinformationen durchzuführen, sofern die Zuweisung mit ausreichendem Vorlauf erfolgt. Für das erste Quartal rechnet man mit 150 neuen Flüchtlingen, für die restlichen drei Quartale zusammen mit weiteren 150. Ansonsten gilt nach wie vor, was bislang bereits den Medien zu entnehmen war. Diese Informationen wurden ausschließlich mündlich übermittelt. Ich laufe daher Gefahr, dass man mir vorwirft, ich hätte Inhalte unkorrekt wiedergegeben. Deshalb belasse ich es bei den wenigen Hinweisen.

Damit die Bürgerinnen und Bürger in Pattensen künftig weniger auf Gerüchte angewiesen sind, habe ich angeregt, auf der Webseite der Stadt Pattensen eine Rubrik einzurichten, auf der wesentliche Fragen rund um das Thema Flüchtlinge proaktiv beantwortet werden. Eine Liste möglicher Fragen habe ich übergeben. Für den Anfang wäre ich damit schon zufrieden.

  1. Wie viele Flüchtlinge leben aktuell in Pattensen (aufgeschlüsselt auf die Gemeinden)?
  2. Wie viele davon sind Männer, Frauen, Kinder (aufgeschlüsselt auf die Gemeinden)?
  3. Wie viele leben als Familie in Pattensen (aufgeschlüsselt auf die Gemeinden)?
  4. Herkunftsländer der Flüchtlinge (aufgeschlüsselt auf die Gemeinden)?
  5. Bildungs-/Ausbildungsstand der Flüchtlinge?
  6. Wie viele der Flüchtlinge haben einen Asylantrag gestellt? Mit welchem Ergebnis?
  7. Wie viele der Flüchtlinge haben einen Antrag auf Familiennachzug gestellt? Mit welchem Ergebnis?
  8. Wie viele Flüchtlinge sind dezentral untergebracht (aufgeschlüsselt auf die Gemeinden)?
  9. Wie viele Flüchtlinge leben in Sammelunterkünften (aufgeschlüsselt auf die Gemeinden)?
  10. Von wie vielen Flüchtlingen, die Pattensen zugewiesen wurden, ist der Aufenthaltsort derzeit unbekannt?
  11. Welche Sammelunterkünfte gibt es zurzeit (aufgeschlüsselt auf die Gemeinden)?
  12. Seit wann bestehen die einzelnen Sammelunterkünfte?
  13. Welche weiteren Sammelunterkünfte sind bis Jahresende geplant?
  14. Welche Unternehmen betreiben die derzeit bestehenden Sammelunterkünfte?
  15. Wie viele weitere Flüchtlinge wird Pattensen im laufenden Quartal aufnehmen müssen?
  16. Wie viele weitere Flüchtlinge wird Pattensen bis zum Jahresende aufnehmen müssen?
  17. Welche Kosten entstanden der Stadt Pattensen durch die Unterbringung, Versorgung und Betreuung von Flüchtlingen in 2015?
  18. In welcher Höhe wurden diese Kosten von der Stadt Pattensen getragen und in welcher Höhe von Bund und Land?
  19. Welche Kosten entstehen in Pattensen derzeit durchschnittlich pro Flüchtling monatlich (aufgeschlüsselt nach Kostenart)?
  20. Auf welcher Rechtsgrundlage verpflichtet das Land Niedersachsen Pattensen zur Aufnahme?
  21. Auf welcher Rechtsgrundlage erfolgt die Unterbringung in Turnhallen?
  22. Auf welcher Rechtsgrundlage werden (wenn nötig) Zwangseinquartierungen erfolgen?
  23. Gegen wie viele Flüchtlinge laufen oder liefen aus welchen Gründen polizeiliche Ermittlungen?
  24. Gegen wie viele Flüchtlinge in Pattensen ist bereits ein Urteil ergangen?
  25. Wie viele Flüchtlinge wurden in Pattensen Opfer von ausländerfeindlichen Straftaten?

Bild: © kebox

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