Bürger an Bürgermeisterin: Danke für nix

Es ist fast zwei Wochen her, dass die Leine-Nachrichten über meinen offenen Brief an Pattensens Bürgermeisterin Ramona Schumann berichteten. Schnelligkeit und Transparenz wurden in dem Beitrag in Aussicht gestellt. „Die Stadt wird vermutlich noch diese Woche mitteilen, welche Turnhallen künftig belegt werden“, war zu lesen. Und: „Auch Bungart könne sobald wie möglich mit einer Antwort rechnen“. Den Brief aus dem Rathaus habe ich bekommen, eine Antwort auf meine Fragen nicht. Dafür gab’s Zurückweisungen, Gegenfragen, pauschale Belehrungen und Verhaltensratschläge. Leider waren auch den Medien seit dem keine weiteren Hinweise zum Thema „Flüchtlinge in Turnhallen“ zu entnehmen. Deshalb habe ich mich entschlossen, Bürgermeisterin Ramona Schumann zu schreiben, warum ich mit dem Inhalt ihres Briefes nicht zufrieden bin. Nachfolgend der Inhalt meines Schreibens vom 29. Januar:

 

Sehr geehrte Frau Schumann,

ich bedanke mich für Ihre Antwort vom 20.01. auf meine Schreiben vom 8. und 18. Januar, in denen ich einigen Fragen zur Flüchtlingsproblematik in Pattensen gestellt hatte. Sie hätten nicht extra betonen müssen, dass die Flüchtlingsproblematik bei der Stadtverwaltung erhebliche Ressourcen zeitlicher und personeller Art bindet. Die Leine-Nachrichten zitierten Sie ja bereits in der Ausgabe vom 10.12.2015 mit den Worten: „Seit etwa einem Jahr seien praktisch alle Verwaltungsmitarbeiter mit dem Thema Flüchtlinge befasst. Die Stadt arbeitet seit mehreren Monaten im Ausnahmezustand.“ Ich bitte deshalb, mein zweites Schreiben nicht als Drängelei zu verstehen. Ich wollte vor allem sicher gehen, dass mein erstes Schreiben Sie erreicht hat. Außerdem hatten sich zwischenzeitlich weitere Fragen ergeben.

Nachdem Stadtsprecherin Andrea Steding am 21. Januar in den Leine-Nachrichten angekündigt hatte, dass die Stadt vermutlich noch in dieser Woche mitteilen werde, welche Sporthallen künftig belegt würden, und darüber hinaus gehende Pläne zur Unterbringung vorstellen wolle, habe ich mein heutiges Schreiben mit Rücksicht auf Ihren „Ausnahmezustand“ dann auch zunächst zurückgestellt, weil ich annahm, aus der Presse zeitnah umfassend informiert zu werden. Diese Annahme hat sich leider nicht erfüllt – weder binnen der in besagtem Artikel in Aussicht gestellten Frist, noch in dieser Woche. Dafür hatte ich heute ein Flugblatt im Briefkasten, deren Macher schon zu wissen vorgeben, dass mindestens 60 Marokkaner in der Turnhalle von Hüpede einquartiert werden, und dass „in einer Asylunterkunft in Pattensen ein reichhaltiges Arsenal an Schlag- und Stichwaffen gefunden worden ist“. Wenn das stimmt, frage ich mich natürlich, warum ich das von einem Flugblatt erfahren muss, statt von der Stadt oder aus den Medien. Wenn das nicht stimmt, sehen Sie daran, welche destruktiven Folgen Ihr mangelhaftes Informationsverhalten hat. Vielleicht ein Missverständnis.

Das kann passieren, wie man auch an Ihrer Antwort auf meine Schreiben sieht. Denn Sie äußern ja den Verdacht, dass mir die bereits in Pattensen lebenden Flüchtlinge potenziell gefährlich erschienen, weil sie mir fremd wären. Sehr geehrte Frau Bürgermeisterin, ich habe in keinem meiner Schreiben auch nur ansatzweise zum Ausdruck gebracht, dass mir die bereits in Pattensen lebenden Flüchtlinge potenziell gefährlich erscheinen. Im Gegenteil: Ich weise sogar ausdrücklich darauf hin, dass strafbare Handlungen, wie sie in der Silvesternacht in Köln und anderen großen Städten begangen wurden (mittlerweile aber leider aus immer mehr Orten in Deutschland berichtet werden), keinesfalls die Vorverurteilung jener Personen rechtfertigen, die sich als Flüchtlinge in Pattensen befinden bzw. künftig nach Pattensen kommen werden. Und an dieser Auffassung hat sich selbstverständlich in der Zwischenzeit nichts geändert. Auch den von Ihnen behaupteten Rückschluss auf die Erfahrungen des vergangenen Jahres in Pattensen finden Sie in meinen Schreiben nicht.

Ebenso selbstverständlich bin ich mir der Tatsache bewusst, dass wir in Pattensen für den Fall von Unterbringungen in Sporthallen über Zahlen sprechen, die sehr weit unterhalb derer liegen, mit denen wir es in Erstaufnahmelagern oder Sammelunterkünften in Großstädten zu tun haben. Mit den von Ihnen über die Medien zur Verfügung gestellten Zahlen hatte ich in meinem ersten Schreiben eine leicht nachvollziehbare Zahl von mehr als 1.000 errechnet. Zu dieser Zahl wollen Sie sich offensichtlich ebenso wenig äußern, wie zu meiner Annahme, dass Sie nicht in der Lage sein werden, auch nur annähernd 1.000 Menschen in den wenigen zur Verfügung stehenden Turnhallen unterzubringen. Wenn Entwicklungsminister Gerd Müller mit seinen Hinweisen in der Bild am Sonntag (Ausgabe vom 10.01.) Recht behält, „sind erst zehn Prozent der in Syrien und Irak ausgelösten Fluchtwelle bei uns angekommen. 8 bis 10 Millionen sind noch unterwegs.“ Und Niedersachsen muss nach Königsteiner Schlüssel rund zehn Prozent aller Flüchtlinge aufnehmen, die nach Deutschland kommen. Bezogen auf die Einwohnerzahl entfielen davon rund 1.500 auf Pattensen. Wohlgemerkt nur aus Syrien und Irak. Falls das eintreffen sollte, könnte ich mir nicht vorstellen, dass die Turnhallen nur für einige Monate belegt würden, wie das von Ihnen stets betont wird.

Angesichts dieser Perspektive freut es mich aber zu hören, dass Sie – zumindest nach eigener Einschätzung – nicht untätig oder unvorbereitet an die anstehenden Herausforderungen herangehen. Denn dann werden Sie das sicherlich kurzfristig auch in Ihrer Informationspolitik und Ihren Taten erkennen lassen. Vielleicht muss ich dann auch nicht mehr darüber nachdenken, welchen Informations- und Wahrheitsgehalt ein Flugblatt in meinem Briefkasten hat.

Was mich verwundert ist, dass Sie in Ihrem Schreiben in Abrede stellen, dass Sie die Unterbringung einer großen Zahl männlicher Flüchtlinge in Wohngebieten vorantreiben. Kann ich daraus schließen, dass die spärlichen Informationen, die wir zu diesem Thema bislang den Medien entnehmen durften, falsch waren? Immerhin liegen die Turnhallen in Pattensen und angeschlossenen Gemeinden alle in Wohngebieten und fast alle auf oder in unmittelbarer Nähe zu Schulgeländen und Kindergärten. Was also ist falsch an dieser Aussage? Werden nun doch keine Flüchtlinge in diesen Turnhallen einquartiert? Oder handelt es sich nicht um Männer? Oder nicht um eine große Zahl? Oder erfolgt die Unterbringung nicht aufgrund Ihrer Entscheidung bzw. liegt diese Entscheidung gar nicht in Ihrer Verantwortung? Falls letzteres zutreffen sollte, würden die Bürgerinnen und Bürger in Pattensen sicherlich gerne wissen, auf wessen Initiative die Unterbringung einer größeren Zahl rein männlicher Flüchtlinge in den Turnhallen (in Wohngebieten) in Pattensen erfolgt. Nur weil die Stadt Pattensen Ihren Ausführungen zufolge keinen direkten Einfluss auf die Art, Geschwindigkeit oder Zusammensetzung der Zuweisung von Flüchtlingen durch die Landesaufnahmebehörde des Landes Niedersachsen hat, heißt das ja nicht, dass Sie als Bürgermeisterin keine Verantwortung dafür tragen, was hier mit diesen Flüchtlingen geschieht. Wenn Sie schreiben, Sie hätten durchaus die Möglichkeit, in diesem Zusammenhang Bitten zu äußern, würde es die Bürgerinnen und Bürger in Pattensen sicherlich interessieren, welche Bitten Sie wann und wem gegenüber geäußert haben. Und welche Reaktion daraufhin erfolgte.

Sie schreiben weiter, dass in den Zeitungen zu verfolgen sei, dass sich Engpässe mittlerweile an vielen Stellen und auch in anderen Kommunen ergeben würden. Das mag so sein, ändert aber nichts daran, dass Sie als Bürgermeisterin für Ihr Handeln in Pattensen Verantwortung übernehmen müssen. Das sehen die Bürgermeister in den von Ihnen genannten anderen Kommunen offensichtlich ebenso. Denn in den Zeitungen ist ja auch zu verfolgen, dass immer mehr Bürgermeister entweder in Briefen auf die ihrer Ansicht nach unhaltbaren Entwicklungen hinweisen oder sogar von ihren Ämtern zurücktreten, weil sie diese Verantwortung nicht länger tragen wollen. Das Flüchtlingsproblem beschäftigt die Stadt Pattensen sicherlich „nicht exklusiv“. Ich vermute aber, dass Sie die Meinung, Sie wären an dieser Stelle nicht in der Verantwortung, „exklusiv“ hätten. Vermutlich aber ohnehin nur ein Missverständnis, oder?

Was die Integrations- und Aufnahmeleistung der Stadt Pattensen in 2015 angeht, sind wir übrigens völlig einer Meinung. Die hatte ich auch nicht kritisiert. Ebenso einer Meinung sind wir bezüglich der Untauglichkeit von Verallgemeinerungen. Deshalb werden Sie in meinen Schreiben auch keine Hinweise auf Verallgemeinerungen finden. Ich weise nur ungern darauf hin, dass Sie leider – im Gegensatz zu mir – Verallgemeinerung betreiben, wenn Sie davon ausgehen, dass Sie positive Erfahrungen, welche die Stadt Pattensen in der Vergangenheit mit Flüchtlingen gemacht hat, die Sie in Wohnungen unterbringen konnten, eins zu eins auf ausschließlich männliche Flüchtlinge übertragen können, die Sie in großer Zahl in Turnhallen unterbringen werden. Auch Ihr Hinweis, ich möge bedenken, dass es sich bei den Flüchtlingen um Menschen handelt, deren Leib und Leben bedroht wurde und die alles verloren haben, ist leider eine Verallgemeinerung. Es mag auf jene Flüchtlinge zutreffen, die bereits in Pattensen leben. Ob es aber auf jene zutrifft, die noch kommen werden, können Sie nicht wissen. Denn auf die Zusammensetzung der Zuweisung durch das Land Niedersachsen haben Sie nach eigenen Angaben keinen Einfluss. Und kein Geringerer als der Vizepräsident der EU-Kommission, Frans Timmermans, sagte am Montag in einem Interview mit dem niederländischen NOS: „Mehr als die Hälfte der Menschen, die nun in Europa ankommen, kommen aus Ländern, von denen man annehmen kann, dass sie keinen Grund zur Beantragung eines Flüchtlings-Status geben. Mehr als die Hälfte, 60 Prozent.“ Diese Einwanderer sind demnach keine Kriegsflüchtlinge im Sinn der Genfer Konvention. Er bezeichnet sie als „economische vluchteling“. Die Tatsache, dass eine nicht unerhebliche Zahl von Flüchtlingen große Beträge an Schlepperorganisationen zahlt, osteuropäische Länder im Taxi durchquert, um schneller nach Deutschland zu kommen, und bei Grenzkontrollen mit größeren Bargeldbeträgen auffällt, spricht nicht dafür, dass alle, die zu uns kommen, alles verloren haben. Nicht ohne Grund haben Dänemark und die Schweiz unlängst Gesetze erlassen, die es erlauben, Vermögenswerte von Flüchtlingen einzuziehen.

All dies ist hinsichtlich der von mir gestellten Fragen aber völlig unerheblich. Sie müssen niemanden vor mir in Schutz nehmen. Ich kritisiere in meinen Schreiben niemanden, der sich – aus welchen individuellen Gründen auch immer – auf den Weg nach Deutschland macht. Ich kritisiere – wenn überhaupt – die Informationspolitik der Stadt. Und ich kritisiere die mangelnde Bereitschaft, sich mit Bedenken von Anwohnern künftiger Sammel(not)unterkünfte ausreichend ernsthaft auseinanderzusetzen. Und das, obwohl sie selbst angesichts der in Hüpede während der Ortsratssitzung vorgetragenen Bedenken einräumten, dass Sie für die Sicherheit nicht garantieren könnten. Den Leine-Nachrichten war jedenfalls das Zitat zu entnehmen: „Es gibt keine Garantie, aber in Pattensen gibt es bisher keine Vorfälle.“

Abschließend möchte ich noch auf zwei weitere Aspekte Ihres Schreibens eingehen. Erstens: Sie weisen die Unterstellung von grober Fahrlässigkeit, Planlosigkeit sowie mangelndem Verantwortungsbewusstsein entschieden zurück. Das können Sie natürlich tun. Allerdings hatte ich Ihnen bislang gar nichts unterstellt. Ich hatte lediglich darauf hingewiesen, dass planvolles und verantwortungsvolles Handeln der Stadt nicht für jeden Bürger klar erkennbar wird. Und ich habe Sie mit Blick auf ein von Anwohnern offensichtlich gewünschtes, aber scheinbar nicht vorhandenes Sicherheitskonzept gefragt: Nur mal angenommen, es nähme jemand aufgrund Ihres Vorgehens in den kommenden Monaten Schaden. Wären Sie sehr verwundert, wenn diese oder dieser Geschädigte Ihnen anschließend grobe Fahrlässigkeit vorwerfen würden? Ich interpretiere Ihr Schreiben nun dahingehend, dass Sie den Vorwurf von Geschädigten unter diesen Umständen entschieden zurück weisen würden.

Zweitens: Ihnen stellte sich angesichts meines Schreibens spontan die Frage, welche realistische Lösung ich konkret anzubieten hätte. Das fand ich spontan kurios, weil Sie mir ja nicht einmal meine Fragen beantwortet haben. Auf welcher Informationsbasis sollte ich Ihnen denn konkret eine realistische Lösung anbieten können? Im Übrigen ist es aber auch nicht meine Aufgabe, das Flüchtlingsproblem in Pattensen zu lösen. Wenn ich das wollte, könnte ich mich ja beim nächsten Mal zur Wahl stellen. Ich werde darüber nachdenken. Bis dahin bleibt es wohl bei der gewohnten Arbeitsteilung. Ich erwirtschafte mit meiner 12- bis-16-Stundentag-Produktivität die Steuern und Abgaben, die von Politikern benötigt werden, um unter anderem Flüchtlinge unterzubringen, zu versorgen und zu betreuen. Und ich hätte nichts dagegen, wenn ein kleiner Teil dieser Steuern auch in ein Sicherheitskonzept einfließen würde, das dazu beitrüge, besorgte Anwohner von künftigen Sammel(not)unterkünften ruhiger schlafen zu lassen.

Bitte entschuldigen Sie die erneute Länge meiner Ausführungen. Ich war bemüht, auf alle Aspekte Ihres Schreibens einzugehen. Sollte ich etwas übersehen haben, lassen Sie es mich bitte wissen. Ich bin gerne bereit, diesen Dialog fortzusetzen. Zumal ich nach wie vor davon ausgehe, dass er auch für viele Einwohner Pattensens von zunehmendem Interesse ist. Deshalb erlaube ich mir, auch dieses Schreiben wieder an die regionalen Medien zu senden. Und selbstverständlich werde ich auch weiterhin Ihre Antworten zur Verfügung stellen.

Mit freundlichen Grüßen

 

Meinen offenen Brief vom 8. Januar können Sie hier nachlesen.

Zu meiner Nachfrage vom 18. Januar geht es hier.

Zum Beitrag der Leine-Nachrichten vom 21. Januar geht es hier.

Das komplette Antwortschreiben der Stadt Pattensen finden Sie hier.

Bild: © Jürgen Fälchle 

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